Gerade kulturell interessierte Menschen höre ich häufig sagen, dass diese oder jene Arbeit schön sei weil sie so frei und großzügig aufs Papier getragen wurde.
Das ist nicht nur oberflächlich gedacht sondern auch falsch.  Jene Arbeit sind wohl wirklich schön, aber nicht deshalb weil sie scheinbar so frei hingeworfen, sondern obgleich sie so hingeworfen wurde. Es mag mit wissender Hand geschaffen sein oder es kann auch das Glück dem nur Halbbewußten geholfen haben.
Dieser kurze Gedankenflug soll vor allem eines: uns etwas besser verstehen lassen weshalb bestimmte Werke die scheinbar oder wirklich mit Leichtigkeit oder gar grober Hand hingeworfen scheinen oder gar hingeworfen sind, uns um so mehr beeindrucken.
Hie und da hatten wir auch unsere Glückstreffer und es mag etwas zauberhaftes entstanden sein. Wenn wir es aber erneut versuchen, ist der Zauber weg und wir fragen uns, weshalb wir einfach nicht wiederholen können, was uns einmal so schön gelungen ist.
Ein jeder mag es selbst versuchen. Was da mit Freiheit und Unverstand gespritzt und gekleckst wird, ist nichts anderes als "gespritztes" und "gekleckstes". All die sogenannte "Freiheit" und "Großzügigkeit" im Umgang mit Farben hilft da nicht viel. Der Zauber ist weg.
Da wird von Inspiration geredet, von "feeling" das kommt und geht. Von "begnadet" und vielem mehr. Zu allermeist ist das nichts anderes als poetisch schreibender Unverstand. Junge Künstler denen einmal oder in einem Zeitraum Erfolg beschieden war, weil sie in ihrem Halbverstand Glückstreffer hatten und das als Inspiration empfanden, wundern sich auf einmal dass diese göttliche Inspiration sich von ihnen zurückgezogen hat. Der wahre Grund ist, sie haben nicht verstanden was sie taten. Auch viele brave Künstler wissen nicht so genau was sie tun, aber sie haben gelernt wie sie´s machen müssen und vor allem sie haben gelernt zu erkennen was entstanden ist.(eventuell auch mit Hilfe des Zufalls) Picasso sagte: "Ich suche nicht, ich finde!"
Ein Tänzer der noch seine Schritte zählt wird schwerlich viel Ausdruck in seinen Tanz hineinlegen können. Allzu akkurater Umgang mit dem Griffel kann ein Hinweis auf Unsicherheit sein - Kleckserei aber auch.
Ein Teil der Malerei ist sicher auch:" machen und dann schauen und nachempfinden was dabei herausgekommen ist". "Finden", wie Picasso sagte.
Gerade bei einem Portrait ist es von fundamentaler Bedeutung, dass der scheinbar so "freie" Umgang mit dem Material nicht etwas ungewolltes erscheinen lässt. Ein Spritzer kann leicht wie eine Warze wirken, ein falscher Schatten und die Person wiegt 20 kg mehr, ein Strich scheint wie ein drittes Ohr…
Da mischt sich Wissen und Erfahrung.
Ein Bild kann leben durch Vibration.
Das scheinbar unfertige Bild zieht uns in seinen Bann. Weshalb? Es mag scheinen als ob der Künstler in seiner Arbeit für einen Augenblick eingehalten hätte. Das mag die Präsenz des Künstlers suggerieren. Wer ein solches "unfertiges" Bild in seinem Salon hängen hat mag sich ein wenig Studioathmosphäre ins Haus geholt haben.
Die Phantasie des Betrachters wird stimuliert; er erkennt (manchmal zu seinem Erstaunen), dass auch er Phantasie besitzt. Auch der Betrachter muss etwas zu tun haben (sonst langweilt er sich). Minuziös ausgearbeitete Werke mögen anfangs erstaunen, langweilen zumeist aber recht schnell.
Kulturgeschädigte sprechen gern von der ach so tiefen Aussage des Bildes, besonders wenn es als abstrakt sich präsentiert. Auf die plumpe Frage, was es denn so aussage, reagieren sie zumeist pikiert.
Im Mittelalter war das Bild die Schrift der Analphabeten. Die Bilder von Hieronymus Bosch sind Erzählungen, lebhafte Beschreibungen, Gesetzestexte der Analphabeten; Bilder von mächtiger Symbolsprache. Die gesamte Bildkonstruktion war minutiös in allen Einzelheiten gestaltet. Die Figuren, die Positionierung der Personen oder auch deren Körpergröße hatte starken symbolischen Charakter. Der Zweck des Bildes war es, etwas zu erzählen. Und die Bilder wurden gelesen und verstanden. Außer der offiziellen Bildaussage haben viele Künstler auch versteckte Nachrichten in ihren Bildern untergebracht, die nur von einem speziellen Kreis gelesen werden konnte. (Da Vinci, Antonello da Messina)
Victor Hugo in "Notre dames de Paris"(Glöckner von Notre Dame) und Auguste Rodin in "Die Kathedralen Frankreichs" erzählen uns hingegen viel von der Sprache der Architektur.
Diese erzählende Malerei hatte einen neuen Auftrieb in der propagandistischen Kunst des revolutionären Russlands. Der deutsche Faschismus hatte schnell davon gelernt und in der Kunst und in der Grafik die Propaganda perfektioniert. Wie in der Hass-Liebe von Hitler und Chaplin,( "Der große Diktator"), hatten die amerikanische Politik und Wirtschaft die Macht der sowjetischen und faschistischen Propaganda schätzen gelernt.
Der amerikanische Realismus war eine erzählende Malerei.
(Die Werbefotografie in Modezeitschriften heute, erzählt mit Vorliebe Geschichten, flechtet die Werbeaussagen dezent in eine Geschichte ein.)
Wer malt oder zeichnet muss sich darüber im Klaren sein, dass er spricht, wenn er malt. Ein Künstler solle sich fragen ob er was zu sagen hat. Gerade das "nonverbale" zu sagen ist heute die Aufgabe des Künstlers. Denn es gibt ein nonverbales Denken.
Wenn Bilder kommunizieren, muss zuerst der Künstler mit dem Material kommuniziert haben.
Ich nehme mir die Freiheit zu sagen dass viele Bilder einfach gar nichts aussagen.
Vielleicht weil der Künstler nichts zu sagen hatte oder nicht wusste wie es zu sagen, wie es auch mir häufiger passiert. Vielleicht auch weil der Künstler einfach nur geschmiert hat ohne mit dem Material zu kommunizieren. Manche Portraits, akkurat gezeichnet, erscheinen wie ein schöner Brief aber ohne Aussage. Hingeschmiert ist andererseits aber noch keine Garantie für Inhalt.
Ein Selbstportrait von Horst Janssen dagegen erzählt es ganze Geschichte und ein jedes seiner Portraits erzählt eine andere.
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